Konzept
Das eigentliche Produkt von "Gelebte Zeichnung, 28 Tage" befindet sich in einem Ereignisraum, der sich der direkten Wahrnehmung entzieht: es ist ein räumliches Gebilde, das linear in der Zeit erscheint.
Das "Sehen" dieses Gebildes bedarf daher einer Vorstellungstätigkeit. Das Gebilde besteht aus verschiedenen Komponenten, die jede für sich ein eigenständiges Bild darstellen.
Mithilfe diese Bilder, die vertraute Formen zitieren, wird die Vorstellungskraft angeleitet, zwei- und dreidimensionale Räumlichkeit zu denken.
Das Konzept dieser Arbeit regt an, diese Räumlichkeit aber zeitlich zu verstehen, bzw. im Umkehrschluss, Zeit räumlich zu visionieren: als eine zusammenhängende Substanz jenseits der alltäglich-praktischen, linearen Wahrnehmung von Zeit.
konzeptuelle Definitionen:
Bildraum
Der Bildraum von "Gelebte Zeichnung, 28 Tage" ist eine räumliche Konstruktion aus den Strukturen, mit denen Zeit organisiert wird.
Die Grundannahme hierfür ist, dass ein Zeitabschnitt einen Zeitraum darstellt, der mit etwas gefüllt werden kann: mit Lebenszeit.
Zeiteinheiten werden als Körper gedacht. Eine Zeiteinheit ist eine Raumeinheit, und da die Zeiteinheiten ineinander verschachtelt sind, sind es auch die Raumeinheiten.
Die sechzig Minuten einer Stunde werden als sechzig kleine Quadrate (Kuben) in einer Reihe betrachtet. Die sechzig Minuten der nächsten Stunde als Reihe darunter in einer zweiten Zeile - beide Stunden befinden sich in der ihnen übergeordneten Einheit Tag. Für einen ganzen Tag entsteht so ein Rechteck von 24 x 60 Quadraten (24 Stunden á 60 Minuten). Dem einen Tag folgt ein nächster mit der selben inneren Struktur. Deckungsgleich aufeinander gelegt, beginnt das Gebilde nun in die dritte Dimension zu wachsen. Dabei berühren sich die, sich in benachbarten Tagen entsprechenden, Minuten.
Bildkomponenten
Die beispielhaften Motive, die ich als Zeichnungen und Skulpturen in dieses Gefüge einsetze, probieren verschiedene Versionen von räumlichen Interpretationen der Zeitmessung aus. Durch die Verschachtelung der Zeiteinheiten entsteht ein mehrdimensionaler Raum. Die diversen Bildmotive erscheinen nur von bestimmten Standpunkten aus. Der Bildraum im Gesamten ist nicht von einem einzigen gedanklichen Standpunkt aus zu überblicken, es handelt sich um einen mehrperspektivischen Raum.
In der Ausstellung sind Modelle dieser Bildmotive direkt zu sehen.
Legende
Für jede in den Modellen verwendete Farbe, definiere ich eine Handlung. Durch die zeitlich definierte Ausführung der Handlung entsteht der Farbwert in der Zeit.
Basierend auf der Beobachtung, dass zwischen unterschiedlichen Momenten innere Verbindungen entstehen, wenn man in diesen unterschiedlichen Momenten aber ähnliches erlebt hat,
wird diese Verbindung benutzt, wie die zwischen zwei Bildpunkten, die das Auge zu einer Linie ergänzt.
Handlungspartitur
Das Füllen der einzelnen Zeiträume mit Lebenszeit führt zu einer Rückübersetzung der räumlichen Bildkonstruktion in die linearen Bedingungen von Zeit. Die Bilder lösen sich in ein kontinuierliches Nacheinander von Farb- bzw. Handlungswerten auf.
Nebenprodukte (der Handlungspartitur)
Einige der Handlungen, und zwar "häkeln", "stricklieseln", ein bestimmtes / anderes Wort schreiben", "Umgebung aufzeichnen" hinterlassen dauerhafte Spuren ihres Getanwerdens und werfen so zusätzliche, eigenständige Produkte ab.
Die Arbeit "Gelebte Zeichnung" definiert eine Plattform, auf der Tätigkeiten als Kommunikationswerkzeug einer Bildsprache auftreten und dadurch zu Handlungen werden. Dass sich die 'die Zeichnung lebende Person' in einem bestimmten Zustand des Ausführens einer Tätigkeit befindet, hat dadurch eine bestimmte, über sich hinausweisende Bedeutung. Nicht das Ergebnis einer Tätigkeit ist ihr Grund, sondern das 'sich im Zustand der gewissen Tätigkeit Befinden'. Das imaginierte Bewusstsein der konzeptuellen Plattform 'liest' die Abfolge der Handlungszustände und sieht die Bilder, die mit ihnen dargestellt werden. Das Bewusstsein der Plattform existiert per definitionem über die 28 Tage des Bildzeitraums und ist von dessen Linearität entkoppelt. Daher kann es das Bildgefüge im Gesamten erblicken. Auch das Konzept "sieht" im Nachhinein das ganze Gebilde, während ein Betrachter, auch ich, immer nur Ausschnitte deutlich imaginieren kann.
Die Handlungen sind keine zweckdienlichen Tätigkeiten, die mit dem Lebenserhalt in Verbindung stehen. Denn sie müssen frei sein und eingesetzt werden können, wie auch immer das Bild es verlangt. Sie müssen auf Kommando und in beliebiger Dauer ausführbar sein und können daher nicht zielgerichtet und durch sich selbst irgendwann abgeschlossen sein. Es sind gleichförmige Handlungen, Handlungen, die Zuständen gleichen, bzw. durch die Art ihrer Verwendung zu Zuständen erklärt werden können. Sie werden nicht notwendigerweise vor einem Publikum oder einer dokumentierenden Kamera ausgeführt, in ihrer konzeptuellen Eingebundenheit erzeugen sie notwendigerweise das Bildgebilde der Gelebten Zeichnung in der imaginierten Supradimension...
Unter den frei wählbaren, gleichförmigen Tätigkeiten sind es keine provokativen, die offensichtlich irritieren wollen. Vielmehr sind es ganz normale, unauffällige Tätigkeiten. Erst durch die Art ihrer Verwendung entstehen leichte Verschiebungen aus einem Normal. Denn es ist nicht mehr normal, eine geschlagene Stunde etwas mit dem Fuß durch die Gegend zu kicken, das Essen zu unterbrechen, um stattdessen zu häkeln oder eiligst zum Fahrrad zu rennen, um dann gemütlich loszufahren. Dennoch erscheint die 'die Zeichnung lebende Person' bei Verstand.
Mit einem Handlungseinsatz entschlüpft sie der normalen Zeit und wird Teil eines anderen Konzepts, das die Wirklichkeit nach einer anderen Variablen auflöst, ihr Tun erscheint auf einer anderen Folie als auf der des schlicht ablaufenden Tages, bzw. Nacht.
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